Fein verzierter Nürnberger Renaissancebecher, vor 1629

Objektnummer #277

Beschauzeichen: Nürnberg vor 1629 (siehe R3, Bd. 3, S. 41, BZ 3762; Tebbe u.a., Bd. I, Teil 1, S. 503, BZ 13)

Meisterzeichen: Hans II Ulrich (siehe R3, MZ 3888 dort noch unter Georg Ulrich); siehe Tebbe u.a., Bd. I, Teil 1, S. 632, MZ 0908)

Marken am Lippenrand, Tremolierstich an der Unterseite des Fußes

Silber, getrieben, punziert, vergoldet

Maße: Höhe: 7,8 cm, Gewicht: 85 g

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Detaillierte Informationen

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Der zeitlos elegante Sechspassbecher aus Nürnberg erhebt sich über einem kreisförmigen, glattpolierten Standfuß. Die sechspassige Wandung der Cuppa ist zum Fuß hin eingeschnürt und erweitert sich zum Lippenrand konisch nach außen. Standfuß und Cuppa des Bechers sind fest miteinander verbunden. Der Übergang vom Fuß zur Kuppa wurde vom Goldschmied gekonnt durch elegant geschwungene Zwickelfelder abgemildert, die jedoch nur bei genauerem Hinsehen ins Auge fallen.

Unterhalb des Lippenrandes windet sich ein ausgesprochen fein punziertes Hängeornament als einzige Dekorationsform um den ansonsten glatt polierten Becher. Das filigrane Ranken- bzw. Schweifwerk nimmt jeweils das obere Drittel der sechs herausgetriebenen Wülste der Wandung ein. Durch die Wiederholung des feinen Rankengehänges auf jedem Wulst, entsteht ein umlaufender Ornamentfries. Die originale Feuervergoldung bedeckt alle sichtbaren Oberflächen des Bechers vollständig, nur der Boden des Standfußes ist in Silber belassen.

Um 1600 waren Ornamentstiche für Gefäßverzierungen weit verbreitet und dienten Goldschmieden als Vorbild für Gravierungen oder punzierte Ornamentik. So dürfte ein Kupferstich wie jener des Hieronymus Bang, Nürnberg 1592, als Vorbild für die Verzierung gedient haben. Fein punzierte Rankenhänge sind in Nürnberg in der Mitte des 17. Jahrhunderts vor allem bei der Gefäßform der „Römer“ sehr beliebt, aber in der Regel weniger fein gearbeitet wie an dem vorliegenden Becher.

In Nürnberg haben sich aus dem ersten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts einige Passbecher erhalten: Christoph Jamnitzer und Franz Fischer schufen zwischen 1609 und 1629 Vierpassbecher mit biblischen oder mythologischen Szenen.

Außerdem haben sich vor allem zwischen 1610 und 1640 Pokale und Kelche mit Cuppa in sechspassiger Form von Goldschmieden wie Paulus Baier und Christoph Jamnitzer erhalten. Von Hans Deinhard existiert ein Trichter- und ein Akeleipokal von 1609, beide sind mit graviertem Ranken- und Schweifwerk unterhalb des Lippenrandes verziert. Ein weiterer bekannter Sechspassbecher ist der sogenannte „Garbenbecher“ von Peter Wibers von 1603, dessen Wülste die Büschel einer Korngarbe bilden.

Der vorliegende Becher ist dank seiner klaren Form und der stilvoll eingesetzten, fein punzierten Ornamentik noch der Spätrenaissance zuzurechnen. In seiner feinen Punziertechnik steht der Becher jedoch am Beginn einer neuen Dekorationsform, die vor allem um die Mitte des 17. Jahrhunderts beliebt wird.

Meister:

Hans II Ulrich, Sohn des Goldschmiedes Hans I Ulrich und der Susanna, geb. Trost, heiratete 1626 Anna, die Witwe von Georg I Rühl. Er war zwischen 1626 und 1633 als Goldschmied in Nürnberg tätig. Durch seinen frühen Tod ist von ihm nur ein weiteres Goldschmiedewerk aus den Jahren 1626/29 bekannt: Einen an einen Nautiluspokal erinnernder Prunkpokal mit großer Schnecke (Silber, vergoldet), mit einem knienden Indianer mit Pfeil und Bogen als Schaftfigur, Neptun mit erhobenem Dreizack und Schwan als bekrönender Figur sowie Amoretten und Seetieren am Korpus. Der fein gearbeitete Pokal, befindet sich bis heute im Ratsschatz der elsässischen Stadt Ribeauvillé, im „Trésor de la Mairie de Ribeauvillè“, Frankreich. Das prunkvolle Schatzkammerstück steht bis heute im Mittelpunkt des Ratsschatzes. Es wurde von den Herren von Rappoltstein (Rabenstein/frz. Ribeaupierre), einem Adelsgeschlecht, das zwischen 1038 und 1673 um Rappoltsweiler/Ribeauvillé herrschte, an die Stadt gestiftet.

Literatur:

Bott, Gerhard (Hrsg.): Wenzel Jamnitzer und die Nürnberger Goldschmiedekunst 1500-1700, Ausst. GNM Nürnberg 1985, München 1985, S. 392f., Kat Nr. 441 (Hieronymus Bang, Blatt 4 einer Folge von Randverzierungen, Kupferstich, Nürnberg um 1592)

Hörack, Christian: Grottesken, Fratzen und Delfine, Dekorelemente im Barock, In: Söll-Tauchert, Sabine (Hrsg.): Schöner trinken, Barockes Silber aus einer Basler Sammlung, Ausstellung im Historischen Museum Basel, Basel 2022, S. 40 – 49 (zu Ornamentstichen, der Verbreitung von Blatt- Ranken- und Schweifwerk in der Druckgraphik, insb. S 41-44)

Söll-Tauchert, Sabine (Hrsg.): Schöner trinken, Barockes Silber aus einer Basler Sammlung, Ausstellung im Historischen Museum Basel, Basel 2022, S. 234 Kat. Nr. 128f., S. 235, Kat. Nr. 130, S. 236, Kat. Nr. 133, S. 237 Kat. Nr. 134f. (zu Römern mit punziertem Rankenornament), S. 279, Kat. Nr. 175 (zum Akeleipokal von Hans Deinhard, Nürnberg 1609)

Tebbe, Karin, Timann, Ursula, Eser, Thomas u.a.: Nürnberger Goldschmiedekunst 1541 – 1868, Band I, Meister, Werke, Marken, Teil 1: Textband, Nürnberg 2007, S. 423, MZ 908, S. 632, MZ 906 (zu Ulrich Hans II), S. 503, BZ 13 (zum Beschauzeichen)
Tebbe, Karin, Timann, Ursula, Eser, Thomas u.a.:  Nürnberger Goldschmiedekunst 1541 – 1868, Band I, Teil 2: Tafeln, Nürnberg 2007, S. 717, Abb.35, S. 877, Nr. 440, S. 878, Nr. 443, S. 931, Nr. 569, 570, S. 932, Nr. 571, S. 938, Nr. 593 (zu Nürnberger Bechern mit mehrpassiger Form)

Tebbe, Karin: Trinken und Tafeln. Silbergefäße für den profanen Gebrauch, in: Nürnberger Goldschmiedekunst 2007, Bd. II, S. 165-204

Tebbe, Karin u.a.: Nürnberger Goldschmiedekunst 1541-1868, Band II, Goldglanz und Silberstrahl, Nürnberg 2007, S. 182, Abb. 155 (zum Trichterpokal von Hans Deinhard, 1609)
Marc Rosenberg: Der Goldschmiede Merkzeichen, Band 3, Deutschland N-Z, Frankfurt/Main 1925, S. 41 (zum Beschauzeichen um 1600)

 

Online-Resources:

https://www.guide-tourisme-france.com/VISITER/mairie-ribeauville–ribeauville-32006.htm