Elfteiliges Silber, vergoldetes Toilettenservice

Objektnummer: #187

Augsburg, 1711/15

Friedrich II Schwestermüller (ca. 1682-1752)

Beschauzeichen: ein „Pyr“ für Augsburg, Periode 1711/15 (Seling Nr. 1410)

Meisterzeichen: „SM“ in rundem für Friedrich II Schwestermüller (Seling Nr. 2061e)

Die Toilettengarnitur besteht aus folgenden Objekten:

Große, rechteckige Dose  21,5 cm x 16cm, Gewicht: 920 gr

Große ovale Dose: 13,5 cm x 10 cm (5,1 x 3,9 in.); Gewicht: 350 g.

Zwei kleinere, ovalen Dosen: 9 cm x 6,6 cm (3,5 x 2,4 in.); Gewicht: je 150 g.

Kleiner Pinsel: L.: 8,5 cm (3,1 in.), mit Borsten: 15 cm (5,9 in.); Gewicht 130 g. 

Große Bürste: Grifflänge: 11 cm x 7,2 cm (4,3 x 2,7 in.); Gewicht 300 g.

Löffel und Gabel: zusammen, G.: 120 g.; Löffel: L.: 17,7 cm (6,7 in.); Gabel: L.: 17 cm (6,6 in.)

Paar Leuchter: Höhe: 14,5 cm (5,5 in.); Gewicht: je ca. 250 g.

Tazza: Höhe: 7,5 cm (2,8 in.); Dm.: 27 cm (10,6 in.); Gewicht: ca. 630 g.

Marken: Die Dosen sind am Boden und am Rand des Deckels gemarkt. Alle anderen Objekte sind voll gemarkt.

Bilder

Detaillierte Informationen

Elfteiliges Silber vergoldetes Toilettenservice

Dieser Satz von Silber vergoldeten Objekten stammt aus einer Toilettengarnitur, die in Augsburg am Anfang des 18. Jahrhunderts hergestellt wurde. Jedoch entspricht das Hauptdekor der Objekte – die Godronierung – dem dekorativen Stil für Toiletten- und Reisegarnituren aus dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. Das kann man beispielsweise beobachten an den Teilen eines Kaffee- und Teeservices im Maximilianmuseum, Augsburg (Augsburg 1698-1700; Meister: J. U. Baur; Museumnummer: 12146-12150).

Die große Dose hat eine orthogonale Form und steht auf vier gedrückten, godronierten Kugelfüßen. Der Deckel ist mit einem Godronenfries dekoriert, auf welchem auf jeder Seite ein Akanthusblatt getrieben ist. Der Deckel ist klappbar.

Die drei Dosen mit abnehmbarem, leicht profiliertem Deckel haben eine ovale Form, typisch für Toilettengeräte dieser Epoche. Dosen, Bürste und Pinsel haben als Dekor getriebene Godronen, entsprechend dem Stil des Spätbarocks. Die Bürste – wahrscheinlich zur trockenen Reinigung der Kleider – und der Pinsel, interessante Sammlerstücke, tragen offenbar ihre originalen Borsten. Die flachen Griffe des zweiteiligen Bestecks sind mit jeweils einem Akanthusblatt verziert. Der Löffel hat eine ovale Laffe. Die Gabel ist dreizinkig.

Die Dekoration des Leuchterpaars und der Tazza ist durch klare und elegante Formen geprägt. Die niedrigen Leuchter stehen auf einem weit ausladenden, gewölbten und getriebenen Fuß, der mehrere Abschnitte aufweist. Ein Godronenfries dekoriert ihn. Darüber erhebt sich ein reich verzierter Schaft mit Balustern und Godronen. Die Gestaltung des Schafts wird durch profilierte Nodi mit Godronen und eine Verjüngung nach unten auf einem profilierten Ring charakterisiert. Die balusterförmige mit Godronen verzierte Tülle ist zum Schaft hin abgeschlossen. Der obere Rand der Tülle ist durch ein Perlenringprofil abgegrenzt. Die dekorative Wahl von übereinanderliegenden Abschnitten mit wechselnden Godronen, einen Ring zwischen Fuß und Schaft und eleganten Einschnürungen weist auf eine ausgezeichnete, geübte Ausführung hin.

Die dazugehörige Tazza widerholt das gleiche Hauptdekormotiv der Godronen auf dem gewölbten und profilierten Fuß sowie auf deren Rand.

Alle Objekte sind in einem exzeptionellen Zustand erhalten.

Toilettengarnituren in historischem Kontext

Der französische Philosoph der Aufklärung Montesquieu hat schon im frühen 18. Jahrhundert die Wichtigkeit der Damentoilette kommentiert. Laut ihm hat eine Frau sehr viel Wert auf den morgigen Vorbereitungen vor dem Spiegel gelegt: „Le rôle d’une jolie femme est beaucoup plus grave qu’on ne le pense. Il n’y a rien de plus sérieux que ce qui se passe le matin à sa toilette. Un général d’armée n’emploie pas plus d’attention à placer sa droite ou son corps de réserve, qu’elle n’en met à poster une mouche, dont elle espère ou prévoit le succès.“ (Montesquieu, zitiert dans Havard, Henry, L’art dans la maison : grammaire de l’ameublement, Paris : Rouveyre, 1887, Bd. 2, S. 200).

Toilettengeräte mit einheitlichem Stil und homogener Gestalt entwickelten sich insbesondere in Frankreich um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Bis zum Ende des Jahrhunderts wurden sie zur Standardausrüstung einer Hofdame oder auch eines Adelsmitgliedes.

Die ersten Toilettenservices aus Augsburg lassen einen starken Einfluss von französischen Vorbildern erkennen. Seit dem Ende des 17. und dem Beginn des 18. Jahrhunderts nahmen die Augsburger Silberschmiede eine führende Rolle bei der Herstellung von Toilettengarnituren ein. Dosen, Kaffee- und Teekannen, Bestecke und andere Objekte wurden oft von entsprechend spezialisierten Silber- und Goldschmieden hergestellt.

Die vergoldeten Toilettengarnituren wurden gewöhnlich der Braut zur Vermählung geschenkt. Sie dienten aber eher der Präsentation im Schlafzimmer oder Boudoir und zur Bewunderung des Betrachters als zur Verwendung. Für die Mitnahme auf Reisen oder die Verwendung der Gegenstände dienten wohl kleinere, weißsilberne Garnituren.

Die verschiedenen Bürsten waren wichtige Teile eine solcher Garnitur. Sie dienten dazu, nach der Verwendung des Haarpuders die stark verunreinigten Kleider und Kämme zu säubern. Die Dosen wurden für die Aufbewahrung von Pomade, Puder oder ähnlichem Kosmetikartikel verwendet. Neben den verschiedenen Toilettenutensilien war auch ein Ein-Personen-Besteck ein wichtiger Teil einer solchen Garnitur.

Für ein vollständiges Toilettenservice aus Augsburg, um 1695-1700, vgl. Baumstark & Seling 1994: Abb. 119/445. Für eine Reisetoilette um 1741-1743, vgl. Seling 1980: Abb. 944/Bd. II.

William Hogarth stellt in einem hervorragenden Gemälde – in der National Gallery aufbewahrt – die Toilette einer Dame vor, wie man sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts sehen konnte.

Meister

Friedrich II. Schwestermüller, evangelisch, geboren um 1682, war ein Silberarbeiter. Er war Sohn des Silberarbeiters Friedrich I Schwestermüller. Die Familie war eine der wichtigsten Augsburger Silberschmiedefamilien. Friedrich II wurde um 1713 Meister und heiratete im gleichen Jahr. Er starb 1752.

Werke von Friedrich II Schwestermüller sind in privaten und öffentlichen Sammlungen erhalten.

Literatur

Baumstark, R. & Seling, H. (Hrsg.), 1994, Silber und Gold: Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas, Kat. Ausst. Bayerisches Nationalmuseum, Bd. II, München: Hirmer Verlag/Bayerisches Nationalmuseum

Havard, Henry, L’art dans la maison : grammaire de l’ameublement, Paris : Rouveyre, 1887, Bd. 2

Heitmann, Bernhard, Die deutschen sogenannten Reise-Service und die Toiletten-Garnituren von 1680 bis zum Ende des Rokoko und ihre kulturgeschichtliche Bedeutung, Hamburg 1979 Diss., München, 1979

Seling, H., 1980-2007, Die Augsburger Gold- und Silberschmiede 1529-1868, Bd. I-III, München: Beck Verlag

Huber-Yüzgec, Christina, ‘Begleiter für alle Fälle: Toilettengarnituren und Reisenecessaires im Wandel der Zeit’ In: Wiese, Woflgang und Schröck-Schmidt, Wolfgand (Hrsg.), Das Stille Örtchen: Tabu und Reinlichkeit bey Hofe, Berlin-München: Deutscher Kunstverlag/Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, 2011.