Objektnummer: #336
Augsburg 1781-83
Johann Christian Neuss
Beschauzeichen: „Pyr“ oben „A“ für Augsburg, Periode 1781/3 (Seling Nr. 2550)
Meisterzeichen: „I/CN“ in geschweiftem Schild für Johann Christian Neuss (Seling Nr. 2511)
Inschrift: „KP “ und zyrillische Inventarnummer „1“
Höhe: 26,1 cm (102,75 in.); Gewicht insgesamt: 4.924 gr
Lit.: Folkersam, De, Baron A., Inventaire de l’Argenterie conservée dans les garde-meubles des Palais Impériaux : Palais d’Hiver, Palais Anitchkov et Château de Gatchino, 1907, Bd. I, T. 37
Kommer, R. Björn, Zirbelnuss und Zarenadler: Augsburger Silber für Katharina II. von Russland, 1997, Abb. 23
Die Weinkühler, wichtige Teile des Tafelsilbers, haben einen vasenförmigen, gehämmerten Korpus der auf einem hohen, runden, profilierten Fuß steht. Er ist darüber hinaus mit einem Godronenfries geschmückt. Der Korpus besteht aus zwei Teilen: der untere Teil, leicht profiliert, schlicht und stark gewölbt und der obere, dekorativ und aufwändig dekoriert. Ein Fries in Form des lesbischen Kymas (Herzlaub/Wasserlaub) markiert sehr kunstvoll diese Aufteilung. Der Obere Körper ist mit einer gegossenen und aufgesetzten Doppelgirlande dekoriert mit Weinblättern und Weintrauben. Diese Girlande hebt nicht nur das Objekt besonders elegant hervor, sondern weist künstlerisch auf die plastischen, gegossenen, wunderbaren Widderköpfe und hohen Henkel in Form von Hörnern hin. Der Rand des Weinkühlers ist mit einem sehr schön ausgeführten dekorativen Fries geschmückt.
Katharina die Große und die silbernen Service
Die Kaiserin Katharina II. von Russland (1729-1796), genannt Katharina die Große, hat seit 1775 das Russische Kaiserreich neu organisiert. Mehrere Gouvernements sollten zu Statthalterschaften zusammengefasst werden (Kommer 1997: 19). Für diese neuen Strukturen mussten Statthalter/Generalgouverneure ernannt werden. Wenn Katharina die Große ihre Reisen in die Provinzen unternahm, hielt sie sich in Residenzen und Gouverneurssitzen auf, die für den entsprechenden luxuriösen Empfang und Aufenthalt sehr gut ausgestattet mit Silber- oder Vermeilservice waren. Die Aufträge von Katharina für solche kostbaren, silbernen Service haben ihr nicht nur einen höfischen Luxus erlaubt, sondern sie waren repräsentative Gegenstände ihrer Macht und Bedeutung. Außerdem waren sie gleichzeitig eine Reserve, die erforderlichenfalls eingeschmolzen werden könnte.
Katharina vergab ihre Aufträge in die europäischen Zentren der Silber- und Goldschmiedekunst Paris, London und Augsburg, sowie nach St. Petersburg. Ihr Ziel war, Gegenstände von höchster Qualität und von zeitgerechtem, stilistischem Charakter zu erwerben. Die im Ausland hergestellten Objekte dienten auch als stilistische Vorbilder für ihre russischen Aufträge.
Paul I. (1754-1801), Sohn und Nachfolger der Katharina (reg. 1796-1801) hat kurz nach seinem Regierungsantritt, die Service nach St. Petersburg, in den Winterpalast, bringen lassen. Dort bekamen sie Inventarnummer und eingepunktete Bezeichnungen (z.B. Kharkhov). Die Geschichte der Service im 19. und 20. Jahrhundert ist nicht vollständig bekannt. Es ist wahrscheinlich, dass das Service aus Charkow im 19. Jahrhundert immer noch im Winterpalast war (Foelkersam 1907). Im 20. Jahrhundert wurden Teile der Service nach Moskau verbracht (Rüstkammer des Moskauer Kremls und Historisches Museum), während andere Teile im Ausland an verschiedenen Orten versteigert wurden.
Das Charkower Service
Das vorliegende Paar ausgefallener Weinkühler aus einem Satz von ursprünglich acht, waren Teil des Charkowschen Gouvernementservices.
Charkow (ukrainischer Namen Charkiw) war zur Zeit der Zarin Katharina Teil des Russischen Kaiserreichs und ist heutzutage die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Zu dem Service gehörten mehrere hundert Teile. 1907 gab es noch 126 verbleibende Objekte.
Das Gouvernementservice für Charkow genauso wie das für Perm wurde in Augsburg hergestellt. Hauptstücke des Charkower Services haben eine sehr ähnliche Form mit denen aus dem Rigaer Service, welches ebenfalls in Augsburg in Auftrag gegeben wurde. Solche Formähnlichkeiten hat auch der Weinkühler des Charkow Services mit dem aus dem Rigaer Service. Die Unterschiede liegen hauptsächlich an die Ornamentik.
Die Form des Gefäßes sowie alle dekorativen Elemente weisen auf den Frühklassizismus hin. Er herrschte als Stilrichtung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich und hatte bald ganz Europa erobert. Katharina die Große hatte als eine wichtige Repräsentantin des aufgeklärten Absolutismus diesen Stil sehr früh aufgenommen. Das Design sowie der Aufbau des Stils im Handwerklichen aus Silber ist stark beeinflusst durch das Werk des französischen Silberschmieds Robert-Joseph Auguste, der für Napoleon und Katharina die Große tätig war. Vorbilder und Modelle für die Form der Objekte als auch für die Ornamente dienten unterschiedlichste Bücher über Architektur, Vasen und Ornamentik der Zeit.
Meister: Johann Christian Neuss wurde 1740 geboren (evangelisch). Er wurde 1766 Meister und ist 1803 gestorben. Er war einer der führenden Silberschmiede in Augsburg der Zeit des Klassizismus.